Hilft Botulinumtoxin am besten, wenn man eigentlich noch gar nichts zu glätten hat? Die Anzahl der sehr jungen Nutzer steigt gerade. Ist das sinnvoll?
Einfach nie wieder lächeln und bloss nicht die Stirn runzeln. Das könnte die eine Strategie sein, um sich ein jugendliches Gesicht ohne Falten und Furchen zu bewahren. Die andere Strategie: Sich das erste Dutzend Botulinumtoxin-Spritzen schon zum Abi wünschen. Beides dürfte zum Erfolg führen. Denn natürlich graben sich Lach- und Ärgerfalten mit jeder Bewegung der mimischen Muskulatur ein paar Millionstel Mikrometer tiefer ins Gesicht.
Und wenn man die Stirn nicht runzelt oder sie gar nicht mehr runzeln kann, weil das Nervengift Botulinumtoxin die entsprechenden Muskeln lähmt, dann bleibt das Gesicht zweifelsohne glatt. «Das funktioniert», sagt Constance Neuhann-Lorenz, Plastische Chirurgin in München und Autorin des Kapitels über Botulinumtoxin im wichtigsten Lehrbuch der Plastischen Chirurgie. Statt also mit 40 erschrocken in den Spiegel zu gucken und den Kampf gegen das Altern an breiter Front aufzunehmen, ist es, ganz nüchtern betrachtet, gewiss effektiver, die Falten erst gar nicht entstehen zu lassen. Und schliesslich ist «Vorbeugen statt Behandeln» doch auch sonst ein sinnvolles Prinzip in der Medizin. Oder?
«Viele stellen sich die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt man mit der Prävention beginnen sollte.»Jan Nebendahl, Dermatologikum Hamburg
Für immer mehr Frauen und Männer jenseits der 40 gehört Botulinumtoxin jedenfalls zum Leben wie Haarefärben und Fussnägellackieren. Daran hat sich die Öffentlichkeit längst gewöhnt und einen geschulten Blick auf die Stirn von auffallend glatt erscheinenden Leuten entwickelt: Bewegt sich da noch was? Nein? Na klar, Botulinumtoxin... Tatsächlich aber schiebt sich das Einstiegsalter für Botulinumtoxin langsam nach unten. Dermatologen und Schönheitschirurgen finden zunehmend völlig faltenfreie Menschen in ihren Sprechzimmern vor, die nicht, wie es diese Altersgruppe früher tat, wegen ihrer vielen Pickel kommen, sondern vor allem eines wollen: Botulinumtoxin-Spritzen, um faltenfrei zu bleiben.
Der Trend kommt, wie so oft, aus den USA. Das sagt Jan Nebendahl vom Dermatologikum in Hamburg. In den Staaten gibts bereits zahlreiche junge Botulinumtoxin-Junkies, angelockt durch zweifelhafte Vorbilder wie die zum Kardashian-Clan gehörende Kylie Jenner, Jahrgang 1997, eine bekennende Botulinumtoxin-Userin. Die Wirkung des postpubertären Botulinumtoxin-Gebrauchs wurde dort sogar schon wissenschaftlich untersucht. Bereits 2006 berichtete William Binder von der University of California in Los Angeles von einem eineiigen Zwillingspärchen. Eine der 38 Jahre alten Frauen hatte sich 13 Jahre lang regelmässig Botulinumtoxin-Spritzen setzen lassen, die andere hatte die Prozedur nur zweimal in ihrem Leben gewagt. Das stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie sah deutlich älter aus als ihre geBotulinumtoxinte Schwester, hatte mehr horizontale Stirnfalten und mehr Krähenfüsse an den Augen. Seit solchen Berichten «stellen sich viele die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt man mit der Prävention beginnen sollte», sagt Nebendahl.
Es gibt auch andere LösungenRechtlich ist die Behandlung des Nichts jedenfalls kein Problem. Sie ist ab der Volljährigkeit erlaubt, wenn der Patient über Nebenwirkungen aufgeklärt ist. Aber ist es auch sinnvoll? Oder könnte man dem Alter auch anders begegnen? Constance Neuhann-Lorenz behandelt jedenfalls nur Patienten, bei denen schon Falten da sind. «Es gibt Menschen, die bereits in jungem Alter mit sehr tiefen Zornesfalten geschlagen sind», sagt sie. Dann hält sie – nach eingehender Beratung – eine Spritzenkur für angemessen. Junge Menschen mit glattem Gesicht? «Die behandeln wir nicht», so Neuhann-Lorenz, das sei eine Übereinkunft in der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen, der sie angehört. Prävention sei in der Medizin ein wertvolles Prinzip. «Aber hier geht es ja nicht um eine Krankheit. Falten sind doch etwas anderes.»
Ohnehin gibt es sinnvollere Wege, länger jünger auszusehen. Auch das zeigten Studien mit eineiigen Zwillingen. Zehn bis 20 Stunden an der Sonne pro Woche lassen einen Zwilling vier bis elf Jahre älter aussehen als den anderen. Jede Dekade, die ein Mensch raucht, beschleunigt sein Altern um 2,5 Jahre. Und, das ist nun in jedem Fall für die Seele so entspannend wie Botulinumtoxin für die Stirnmuskeln: Man sieht ebenfalls um Jahre jünger aus, wenn man im Alter ein paar Pfund mehr auf den Rippen hat.dsaf
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